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Heimathafen Part 2: Heimkehren

Hamburg Hafen Sonnenuntergang
Jetzt bin ich also da. Und doch noch nicht so richtig. Das erste Zusammentreffen mit meiner Familie ist erstaunlich normal. Am Hauptbahnhof irre ich erstmal auf und ab, auf der Suche nach meiner Mutter und meinen Schwestern. Wie eh und je. Und dann sehe ich sie und sie sehen mich und wir liegen uns in den Armen und ich bin da.

Bin ich wirklich wieder da?

Die Weihnachtstage ziehen vorbei, grau und graupelig und heimelig. Typisch Bremer Schietwetter. Ich muss auf meine Familie entrückt wirken, mal ist es so, als sei ich nie weg gewesen. Und dann sitze ich tagträumend und abwesend da. Weihnachten ist noch eine Transitphase, denn ich bin ja wieder nur „zu Besuch“.
Passend zum Jahreswechsel ziehen Stefan und ich das zweite Mal in unsere erste gemeinsame Wohnung ein. Es geht erst einmal nach Hamburg.
Hamburger Hafen Möwe

Als Anachronistin an der Elbe

Die Leute gehen zügig, zielgerichtet. Time is Money. Das ist eine dieser abgedroschenen Weisheiten, die hier, in Deutschland, in Mark und Bein gegangen ist. Ich hingegen lebte die letzten Jahre ein anderes Zeitregime, das der Reisenden. Time is Time is Time. Es musste kein Geld erwirtschaftet, kein Profit erzielt, keine Effizienz gelebt werden. Ein bescheidenes, nein, ein bewusstes Dasein ohne Make-up, Business-Outfit oder Shopping-Samstagen.
Alster Hamburg

Die Alster in Hamburg.

Nur von einer Ressource wollte ich viel: Zeit. Und die nahm ich mir einfach.
Ich streunere durch die Gegend, schaue mir den Reichtum an Produkten, die überladenden Auslagen, diese unfassbar hervorragend hergerichteten Menschen an. Hier hat Hamburg Geld. Dazu muss man sagen, dass unsere Wohnung im reichen Stadtteil Eppendorf liegt, wo wir durch glückliche Umstände an eine bezahlbare Wohnung kamen. Auf dem Isemarktvermarkten die Obst- und Gemüseverkäufer ihre Ware (natürlich Bio und regional vorzugsweise) perfekt. Vegan ist das neue Vegetarisch. Und natürlich ist alles free von allem. Ich bin nur zum gucken da, Einkaufen steht nicht auf meiner to-do Liste (hab ich nämlich noch gar nicht) und ich brauche auch nichts. Gucken, schlendern, beobachten – eben wie auf der Reise.

Nur: Irgendwas ist anders. Unangenehm anders.

Mein Tempo. Ja, das muss es sein. Ich laufe zu langsam, schaue schweifend, lose herum, immer bereit, den Blick an einem interessanten Objekt hängen zu lassen. Und dadurch stehe ich ständig im Weg. Aber das ist nicht alles. Nein, daran liegt es nicht nur.
Dieses Unbehagen, wenn das Umfeld bekannt ist, keine unentdeckte Variable, sondern: da gehörte ich ja mal dazu. Und jetzt, wo ich hier herumlaufe, merke ich, dass ich eben anders bin. Keine Struktur, keine Termine, keine To-Do Listen.
Das Gefühl, welches auf der Reise beflügelnd war, zieht mich hier herunter. Warum?
Ich fühle mich wie eine Anachronistin ohne Rolle. „Wir spielen alle nur Theater“ beschrieb Erving Goffmann unser Leben als soziale Wesen. Auf der Bühne des Lebens wechseln wir unsere Rollen, ob freiwillig, bewusst oder notgedrungen sei dahingestellt. An diesem Dienstagmorgen, auf bekanntem Terrain in meiner alten Nachbarschaft, fühle ich mich fremd.
Hamburger Hafen Sonnenuntergang
Meine Touristenrolle sitzt nicht mehr. Diese Rückkehr, geplant und doch überraschend, macht mich zur Anachronistin auf dem Wochenmarkt. Und trotz dieses überbordenden Angebots, scheint noch nichts Passendes für mich dabei zu sein.
Und in diesem kleinen, leisen Moment, an einem durchschnittlichen Dienstagmorgen, wird mir klar: Heimkehren wird eine Herausforderung. Fortsetzung folgt…
Dies ist der zweite Teil meiner Serie zum Thema Heimkehren nach Weltreise. Wenn Du den ersten noch nicht kennst, dann erfährst Du hier von der Ankunft am Frankfurter Flughafen.
Kategorie: Reisegedanken

von

Aylin zählt sich zur Generation (wh)Y und liebt es, Dinge zu hinterfragen, herumzuphilosophieren und das Leben aus allen Perspektiven zu beleuchten. Gerne auch mit ihrer Kamera. Der zweite Kaffee am Frühstückstisch ist für sie der Inbegriff von Luxus (Zeit + Genuss = Lebensfreude). Wollte mit zart-naiven 16 Jahren mal Journalistin werden und die Welt retten, dieser Blog ist quasi die Erfüllung ihres Mädchentraums.

10 Kommentare

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  4. Gül sagt

    Schöner Text. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass nach einer so langen Reise die Wahrnehmung und die Sicht auf die Dinge, eine ganze andere Richtung einnimmt. Wenn wir schon bei der Herausforderung sind – mich beschäftigt die Frage, ob man nach all diesen einzigartigen Erkenntnissen, wieder da anknüpfen kann, wo man aufgehört hat – in Bezug auf Freunde, Beruf und Alltag. Der Philosoph Zenon war davon überzeugt, dass die Menschen sich bemühen sollten, NICHT über seine Grenzen zu gehen und mit dem zufrieden zu sein, was sie haben. Das entspricht nicht unbedingt meiner Denkweise, aber vielleicht schützt es tatsächlich vor Unzufriedenheit.
    Ich freue mich schon auf die Fortsetzung, und falls dich das Thema auch beschäftigt – freue ich mich darüber zu lesen:)

    • Liebe Gül,

      ich kann diese Idee, lieber im Bekannten zu bleiben, um sich vor zu viel Sehnsucht zu schützen, sehr gut verstehen. Vielleicht ist da was dran, allerdings glaube ich, wenn man eh Lust hat, die eigenen Grenzen zu überschreiten, dann ist es eh schon um einen geschehen!

      Für mich fühlt es sich an, als hätte ich die Matrix durchbrochen und es gibt keinen Weg mehr zurück 🙂

      Danke für Deinen Kommentar und alles Liebe!
      Aylin

  5. Pingback: Heimathafen Part 1: Ankommen | Today We Travel

  6. Juhu, da ist er – der zweite Teil! Ich kann mit jedem Wort nachvollziehen, wie du dich gefühlt hast. „Heimkehren wird eine Herausforderung“ – besser kann man es nicht ausdrücken…
    Ich freu mich auf die Fortsetzung!
    Liebe Grüße,
    Kathi

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