Reisegedanken
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„Nicht mehr im Urlaub.“

Im Fernbus von Frankfurt nach Stuttgart. Ein paar Tage vor Weihnachten an einem nebelverhangenen Morgen. Unsere irrwitzige Heimreise aus Chile, die sich über 36 Stunden erstreckte, ist immer noch nicht zu Ende. Was ein Gefühlscocktail. 1,5 Jahre Dauerreisen, ein scheinbar unendlicher Abenteuertrip, soll nun also mit dieser Busfahrt beschlossen werden.

Etwas hölzern trete ich auf der Stelle als ich auf den Bus warte. Dass es so kalt ist, hatte ich erwartet, aber verdrängt. Ich hole mir erst meine Daunenweste aus dem Rucksack, ein paar Minuten später noch Handschuhe und Mütze. Die Unordnung in meinem Kopf. So richtig begreife ich anscheinend noch nicht, dass ich wieder in Deutschland bin, in meinem Heimatland, wo ich eigentlich wissen müsste wie der Hase läuft. Ich erfahre, dass einige Fahrgäste in Karlsruhe aussteigen werden. Fast reflexartig möchte ich, wie auf Reisen häufig praktiziert, den Busfahrer bitten, mir Bescheid zu sagen sobald wir in Stuttgart sind. Als ob ich das nicht selber merke.

Mein Kopf sackt immer wieder herunter, ich bin einfach zu müde. Ich stelle mir den Wecker um meinen Ausstieg nicht zu verpassen. Aber die Gesamtsituation ist einfach zu irre um jetzt einfach so weg zu nicken. Diese Heimkehr ist doch ein bedeutender Moment in meiner persönlichen Biografie. Ich beobachte die Landschaft, die Menschen und deren Umgang miteinander und irgendwo, ganz weit hinten im Kopf erinnere ich: Ja. Stimmt. So war das hier alles. Dennoch empfinde ich diese Stille im Bus als seltsam. Obwohl alle Plätze belegt sind spricht niemand miteinander. Das muss eine deutsche Eigenart sein, dass man sich nicht unterhält, dass man generell das Private sehr schätzt.

Ich hole mein Notizbuch raus, einfach nur weil ich es jetzt wichtig finde, meine Impressionen zu dokumentieren. Der Fahrer kündigt eine Verspätung von 10 Minuten an. Um mich herum werden Smartphones entriegelt, man sagt Zuhause Bescheid. Zeit ist etwas wertvolles in Deutschland. Später werde ich lesen, und mich nicht darüber wundern, dass in Deutschland mit das schnellste Lebenstempo weltweit herrscht*. Ich muss an Indonesien denken, laut dieser Statistik weltweit eines der langsamsten Länder: man sitzt dort 2 Tage in einem Ort fest, weil der Busfahrer „manchmal keine Lust hat“, und für die Einheimischen ist das überhaupt kein Aufreger. Solange man sich mit anderen Menschen unterhält und gemeinsam isst, war die Zeit niemals vergeudet.

Mir fallen die braunen Schilder auf, die am Rande der Autobahn auf eine Sehenswürdigkeit aufmerksam machen sollen. Auf einem steht „Klosterruine Frauenalb“. Man muss sich das Auge des Reisenden bewahren, die eigene Heimat wie ein Tourist erkunden, lautet der innerliche Vorsatz. Das Studium fremder Kulturen schärft die Erkenntnisfähigkeit über das eigene Land.

Ich versuche die Müdigkeit wie eine lästige Fliege abzuschütteln, winde mich in meinem Sitz, weil ich plötzlich dieses komische Restless Legs Syndrom verspüre. Draußen ist alles grau: Der Himmel, der Fahrbahnbelag und die Autobahnbrücken. Die deutschen Wintertage, an denen es nie richtig hell wird, hatte ich verdrängt. Egal, in mir geht jetzt viel zu viel vor. Wichtigeres als das Wetter. Der Augenblick, diese große Moment der Heimkehr breitet sich vor mir aus und ich bin seltsam konzentriert.

Ich erkenne meine Familie bereits von weitem als wir in den Bahnhof einfahren. Meine Mutter hält ein riesiges Willkommensschild hoch. Das pure Glück in diesem Moment, es speist sich an der Gegenseitigkeit in der es empfunden wird.

Als wir zusammensitzen wird vieles klar: die Grenzen der Sprache, dass es im Prinzip gar nicht möglich ist zu formulieren, wie ich zu der Rückkehr stehe und welche Gedanken mich gerade umtreiben. Jedes Adjektiv scheint zu klein, zu abgenutzt um der Situation Ausdruck zu verleihen. „Ich bin einfach überwältigt“, sage ich dann und merke, dass das wie eine Floskel klingt. Jede Reiseanekdote, die man jetzt erzählt, wirkt im Kontext der Gesamtunternehmung unbedeutend. Wir beschließen, dass es an diesem Tag des Wiedersehens keiner großen Quintessenzen bedarf.

Stattdessen reihen wir Momente der Freude und Gesten der Zuneigung aneinander. Mir wird Sekt nachgeschenkt und, dem Anlass entsprechend, eine Schokobanane serviert. Ich rutsche auf dem Bauch über den Boden und tue so als wäre ich ein Krokodil, weil das meinen kleinen Nichten so Spaß macht. Wie im Flow mache ich alles mit, nehme alles an, sauge alles auf. Ich bin anscheinend ziemlich zufrieden.

Es ist eine wunderbare Zusammenkunft. Offensichtlich freue ich mich wieder daheim zu sein und das sagt nichts über die Qualität unserer Reise aus. Heimat und Fernweh, welch gesunde Beziehung dieses Begriffspaar in meinem Universum hat.

Wie fällt mein Fazit dieser Ankunft nun aus? Schwer zu sagen, bei dem Gefühlschaos. Nur meine Nichte ist offensichtlich als einzige in der Lage die Essenz der Ereignisse treffend zu formulieren: „Stefan ist jetzt nicht mehr im Urlaub.“ Das stimmt wohl.

*Levine, Robert: Eine Landkarte der Zeit – wie Kulturen mit Zeit umgehen.

Kategorie: Reisegedanken

von

Stefan ist ein echter Travel Enthusiast! Sprachen und Reisen sind seine Leidenschaft. Darum hat er auch Englisch und Spanisch studiert. Seit der Weltreise krempelt er seine Karriere gerade komplett um. Seine Lieblingsthemen: das Unbekannte und Outdoorabenteuer.

4 Kommentare

  1. Toller Artikel….
    Bei den restless-legs musste ich zugegebenermaßen etwas schmunzeln – auch ich darf dieses eigenartige komische und nervenaufreibende Beinekribbeln mein Eigen nennen.

    Dachte schon ich bin der einzige in dem Alter (32) der das aushalten muss 🙂

    Liebe Grüße aus Wien

    • Stefan sagt

      Endlich versteht mich einer 😉

      Ich bekomme die restless legs immer dann, wenn ich sie am wenigsten brauchen kann – im Kino, im Flugzeug oder eben im Bus…

      Naja, wenn’s sonst nix is 🙂

      Liebe Grüße

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