Eine dieser gefühlten unendlich langen Reisen liegt hinter uns. Die sieht so aus im Schnelldurchlauf: Um 12.00 Uhr am Flughafen Washington DC einlaufen – Einchecken – Puh! Keiner fragt nach einem Rückflugticket aus Kolumbien (das wir nicht haben) – Fußballspiel Deutschland-Frankreich in einer Flughafenbar schauen – Fliegen – Umsteigen in Houston – Sechs Stunden warten – Oh, nee, Sieben! – Fliegen – Schlaflos – Morgengrauen – Taxifahrt durch das aufwachende Bogotá – Graffitis – Straßenhunde – Grau – Schlafende Menschen in Plastiksäcken – Verwirrung – Wo verdammt ist nur das Hostal?
Als die Rucksäcke in der Ecke liegen, gibt es nur noch Eines: komatösen Tiefschlaf. Zur Mittagszeit wache ich auf, meine Kontaktlinsen kleben unangenehm an meinen Augäpfeln. Wir essen unser mittlerweile matschiges Brötchen und eine schwarz gewordene Banane. Die Luft ist im Gegensatz zu Washington kühl, der Himmel betongrau, Sprühregen fällt nieder. Die ersten Worte auf Spanisch kommen holprig über die Lippen. Yolanda, die Señora des Hauses, zückt eine Karte und einen roten Stift. Auf so ziemlich alle Ecken rund um La Candelaria, das Studentenviertel in dem unser Hostal liegt, schreibt sie „No“. Auf meinen Fragezeichen-Ausdruck führt sie aus: „Ladrones, muy peligroso!“ (Diebe! Sehr gefährlich!) Ach du Scheiße, denke ich mir nur.
Freiheit & Grenzen
Reisen hat viel mit Freiheit zu tun. Freiheit, zu machen, wonach mir gerade ist. Freiheit von Besitz, der doch nur beschwert- physisch aber noch mehr geistig. Freiheit, der inneren Uhr zu folgen. Freiheit, dorthin zu gehen, wo es mich eben hinzieht. Die Seitengassen und Umwege, für die im Alltag kaum Zeit ist. Und gleichzeitig gibt es auch auf Reisen immer wieder Grenzen, ob nun finanzielle, sprachliche, kulturelle oder eben geografische, die ich akzeptieren muss.
Südamerika-(N)euphorie
Mit der rot bekritzelten „No“-Karte gehen Stefan und ich also vor die Türe. Eigentlich möchte ich trotzig die roten Marker ignorieren. Aber gut, wir sind neu hier, matschig vom wenigen Schlaf. Wir laufen entlang der „erlaubten“ Straßen durch das bunte Altstadtviertel, bestaunen den mittlerweile blauen Himmel und begreifen langsam, dass wir eine große, eine vielfältige Etappe unserer Reise beginnen. Ein wenig erschlägt uns dieser Gedanke. So viele Kilometer, viel Organisation und sicher die ein oder andere anstrengende Strecke liegen vor uns. Die vergangenen elf Monate haben uns müde gemacht. Die letzten drei Wochen in den USA sowieso. An diesem Tag erscheint uns Südamerika wie, ich traue mich kaum es auszusprechen, Arbeit. Bedröppelt von diesen Emotionen und der Erkenntnis, dass uns gerade das Feuer ausgegangen ist, verlängern wir unseren Aufenthalt bei Yolanda auf unbestimmte Zeit.
Stefan telefoniert und schreibt mit seiner Familie, holt sich Zuspruch von Freunden. Mein Verstand sagt mir, ich müsse zufrieden sein, es werden Tage kommen, da sehne ich mich nach der Ferne. Nach dem Abenteuer. Nach Reisen. Selbstbestimmung. Warum will nur das Gefühl nicht dem Verstand folgen? Vielleicht, weil man nicht dauerhaft trunken vor Euphorie herumlaufen kann. Weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und Veränderungen müde machen. Weil Alltag auch schön sein kann. Weil es sich gut anfühlt, nach einem anstrengenden Tag Heim zu gehen. Heim.
Wir kaufen uns einen Südamerika Reiseführer. Blättern von A(rgentinien) bis V(enezuela), suchen nach irgendetwas, das das Feuer in uns wieder entfacht. Und tatsächlich, es flackert wieder auf. Nicht so, wie ich es aus Deutschland kenne, keine grenzenlose Euphorie, aber wieder Reiselust. Immerhin. Wir erinnern uns noch einmal daran, dass wir nichts beweisen, keine Must See´s und Must Do´s abhaken wollen. Das entspannt. Mit den Tagen werden wir wie unser Spanisch lockerer. Wir schlendern durch Bogotá, schauen dem Treiben auf der Plaza de Bolivar zu oder trinken einen starken Tinto in einem der Juan Valdez Cafés. Die Leute kommen und gehen in unserem Hostal. Wir bleiben. Bogotá stimmt uns ein, sprachlich, kulinarisch und emotional. Nach zehn Tagen brechen wir auf, Südamerika wartet.
Pingback: Ein Zuhause auf Zeit in Bangkok | Today We Travel
Kolumbien hat wirklich einiges zu bieten! Das typische, südamerikanische Flair und natürlich auch eine einmalige Landschaft. Viel schrecken leider davor zurück, weil sie denken, an jeder Ecke ist es gefährlich – find ich quatsch – in jedem Land und in jeder Stadt gibt es einige Ecken, die man bei Dunkelheit und als Alleinreisender meiden sollte!
Grüße
Dirk
Hallo Dirk, ja, Du hast Recht- Kolumbien ist ein wunderbares Land und wir haben uns nicht einmal in 6 Wochen unsicher gefühlt. Die Polizei- und Armeepräsenz war zu Beginn etwas befremdlich, aber ich denke in punkto Sicherheit hat sich eine Menge getan in den vergangenen Jahren. Wer Lust auf Kolumbien hat, der sollte auf jeden Fall hinfahren und sich nicht vom alten Kokain-Guerilla-Image abschrecken lassen. Danke für Deinen Kommentar & LG, Aylin
Toller Bericht! Seitdem wir uns in Nepal getroffen haben, schau ich immer wieder gerne auf eurem Blog vorbei. Diese Reisemüdigkeit kenn ich auch zu gut. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, um neue Energie zu tanken. Bogota hat wirklich schöne Seiten. 🙂
Liebe Grüße in die Ferne,
Sabrina
Liebe Sabrina, ach, ich hab auch schon oft an euch gedacht- wie es wohl ist, wieder in der Heimat anzukommen und sich einzuleben (den letzten Beitrag hab ich natürlich gelesen). Wir sind mittlerweile wieder guter Dinge und haben unsere kleine Reisemüdigkeit überstanden, aber dass sie dazu gehört, ist ja normal- und es ist auch gut, sich auf das Zuhause zu freuen 🙂 LG an euch Zwei!
Es gibt immer Momente während des Reisens, wo man denkt, dass man eine Pause braucht. Umso besser, dass ihr euch sie genommen habt, denn im nachhinein will man nur noch wieder los!
Ja, Du hast Recht- dem Tief folgt immer auch ein Hoch 🙂
Bezüglich Bogota, habe ich das Gefühl, ihr hättet meine Ankunft beschrieben. No no no. 🙂
Ich hab mich schon gefragt, wann bei euch die Reiselust abflaut! Bei mir kam die nach sechs Wochen schon mal durch. Das wird wieder, ihr macht das ganz richtig!
Danke liebe Anika! Vielleicht lag es auch am Grau und Nieselregen, der zur Stimmung beitrug 🙂 Aber wir sind auch guter Dinge, diese Gefühle gehören eben auch zum Reisen. Ein wenig zeichnete sich das bei uns schon in den USA ab, aber da waren wir kurzweilig auf einem Hoch unterwegs, New York hatte uns fest im Griff. 😉
Ja – auch das ist Reisen: nicht nur Hochs, auch Tiefs, nicht nur reine Freude und Neugier, sondern auch Zweifel und Müdigkeit. klar erkannt und ehrlich beschrieben. Mir ist ein authentischer Reisebericht lieber als Dauerjubel; schließlich ist das Leben genau so – Danke für den kleinen Blick in die andere Reiseseele!
Lieben Dank! Wir sind sowieso der Meinung, dass eine Reise immer das Leben in komprimierter Form darstellt. LG!